Ausgangssituation
Ein Schicksalsschlag und das Engagement meiner lieben Freundin Edith haben den Grundstein für diese Pilgerreise gelegt. Pilgern soll ja, so liest und hört man viel darüber, zur inneren Ruhe und zum seelischen ‚reset‘ führen. Diesem Mythos wollte ich auf die Spur kommen. Glücklicherweise fiel mir ein spezieller Pilgerführer namens „Pilgern für alle“ in die Hände.
Bis zum Antritt des Pilgerweges
Der Pilgerführer war schnell bestellt und somit konnte die Planung beginnen. Die darin beschriebenen neun Etappen führen von Worms in Deutschland bis nach Lauterbourgh in Frankreich. Wir entschieden uns, die rund 120 km Wegstrecke in 7 Etappen zu gehen, indem wir eine sehr kurze mit einer längeren Etappe zusammenlegten und die letzte ausließen, die nur zum Abreisebahnhof führte.

Die Anreise organisierten wir so, dass uns Gerhard, der Mann meiner Freundin, mit dem Wohnmobil zum Start nach Worms brachte. Er war es auch, der täglich unser Gepäck von einem Ort zum nächsten lieferte. Ein Service, ohne den diese Reise nur erschwert möglich gewesen wäre, da ich als Rollstuhlfahrerin mehr Gepäck für die geplante Reisezeit brauche als ich selber tragen kann.

Der Pilgerweg
Die Beschreibung des Weges im Büchlein erschien uns von zuhause aus fast übergenau und etwas verwirrend. Jedoch am Weg, während des Gehens, war die Wort für Wort Erklärung Gold wert.
Hilfe durch exakte Beschreibungen und GPS Tracks
Wir haben die Verfasserin des Pilgerführers, die sich sehr viel Mühe für eine exakte Wegbeschreibung gegeben hat, persönlich kennengelernt. Danke Beate Steger an dieser Stelle an dich! Zusammen mit den GPS Tracks, die wir vor der Abreise aufs Handy geladen haben, war die Beschreibung 1a und wir fanden nahezu immer den richtigen Weg, den ich zur Gänze mit meinem Swisstrac zurückgelegt habe. Für Rollstuhlfahrende gibt es, so habe ich es erlebt, keine Hürden und die Wege verlaufen großteils auf Asphalt. Des einen Freud, des anderen Leid, dieser Weg ist für Fußgänger sehr anstrengend und setzt sehr gutes Schuhwerk und einen gesunden Rücken voraus.

Die Begegnungen und Ruheplätze
Das Schönste auf dieser Pilgerreise war, wie generell im Leben, die Begegnung mit den Menschen am Weg. Von staunenden Kindergartenkindern (sicherlich wegen meinem Rollstuhlzuggerät) über Jogger, die mitten im Laufen innehielten um mit uns ein Gespräch zu suchen über Geschäftsführer von Hotels, die uns (gefühlt) nicht in Ihrem Hotel haben wollten, ist uns alles untergekommen. Im Rückblick gesehen wurde jede negative Begegnung – und es waren wirklich wenige – mit mindestens zehn positiven Begegnungen kompensiert. Wir lassen uns durch nichts unterkriegen und machen immer das Beste aus der Situation.

Die Unterkünfte
Obwohl ich ein eher unkomplizierter und spontaner Typ bin, beschlossen wir – Gott sei Dank – die Quartiere für die Nacht von zu Hause aus zu reservieren. Dies war eine absolut sinnvolle und notwendige Maßnahme und würde ich jedem Pilgernden im Rollstuhl empfehlen, der nicht auf dem Boden mehrere Stufen hinauf- oder in eine Dusche hineinroppen möchte. Trotz der Buchungen vorab konnten wir nicht in jedem Zielort ein rollstuhlgerechtes Zimmer finden bzw. waren auch nicht alle Zimmer, die als rollstuhlgerecht angepriesen wurden, wirklich tauglich. Gut, dass ich nicht zimperlich bin, denn sonst wäre ein Schnitt von drei zu fünf, also drei Mal Duschen möglich, fünf Mal nicht möglich, nur schwer akzeptabel. „Pilgern für alle“, wie die Überschrift des Reiseführers lautet, ist, wie wir ehrlicherweise feststellen mussten, nur für gut betuchte Rollstuhlfahrer:innen und Begleitpersonen möglich.
Die Zusammenstellung der Unterkünfte könnt ihr gerne direkt bei mir per Mail anfordern, eine kleine Hilfe wird euch die Liste in jedem Fall sein.

Pilgern Deluxe für Menschen mit Behinderung
Häufig bekommt man nicht wie beim Pilgern üblich, einfache, kostengünstige Zimmer, sondern muss sich ein Deluxe Zimmer leisten, das entsprechend dem Namen viel Geld kostet.
Meine Freundin, die mich nun wirklich schon sehr lange kennt, war empört und sagte zu mir: „Jetzt verstehe ich erst was gemeint ist, wenn bei Menschen mit Behinderung von Menschen 2. Klasse gesprochen wird. Es ist nicht nur die Behinderung selbst, die diese Menschen, also auch dich, behindert, sondern es ist viel mehr das Umfeld und vor allem die fehlende Infrastruktur. Wäre ich im Rollstuhl und müsste mir auf meinen Pilgerreisen immer solch teure Unterkünfte nehmen, wäre ich in den vergangenen 20 Jahren nicht halb so viele Wege beschritten.“
Für mich als langjährige Rollstuhlfahrerin ist dieser Umstand bereits so zur (negativen) Selbstverständlichkeit geworden, dass ich echt berührt von ihrer Aussage war.
Die Impulse
Wodurch unterscheiden sich Wandern und Pilgern?

Jeder von uns würde wahrscheinlich die Frage, was denn der Unterschied sei zwischen Wandern und Pilgern, ein bisschen anders beantworten.
Für mich liegt der große Unterschied darin, dass anders als beim Wandern hier beim Pilgern das reine Gehen des Weges, das Hineinspüren was jede Begegnung mit mir macht und jeder Impuls, den wir gesetzt haben, mich ein Stück näher zu meinem Innersten brachte.
Du kannst hier zwei meiner Lieblingsimpulse lesen. Vielleicht bringen sie auch dich auf deinem eigenen Weg ein Stück weiter.
Auch das Gefühl, dass da jemand ist, der immer auf mich schaut und mich beschützt, war noch stärker als sonst. Ob ich nun sehr gottesgläubig bin, dem Universum oder einer anderen Macht vertraue, macht für mich wenig Unterschied.
Kannst du diese Frage mit JA beantworten?
Was für mich zählt, ist, ob ich JA sagen kann auf diese Frage: „Bin ich zufrieden mit dem Leben, das ich führe und wenn nicht, bin ich bereit etwas daran zu ändern?“
Rückblick auf meinen besonderen Pilgerweg
Nach vielen anstrengenden Kilometern – ohne einen Tropfen Regen – erreichen wir am 7. Tag unser Ziel
Lauterbourg in Frankreich.
Bei herrlichem Sonnenschein strecken wir die Arme in die Höhe und sagen Danke, dass alles gut gegangen ist und wir gesund angekommen sind.
Glücklich und von unseren Emotionen etwas überwältigt, halten wir ein letztes Mal auf diesem Weg in der Kirche von Lauterbourg inne.
Es kostet immer Überwindung sich aufzuraffen, aufzumachen, einen neuen Weg zu beschreiten. Aber jede Entscheidung, genau das zu tun, sich auf den Weg zu machen, ist eine wertvolle Entscheidung im Leben.



Aber jede Entscheidung, genau das zu tun, sich auf den Weg zu machen, ist eine wertvolle Entscheidung im Leben. Völlig gleichgültig, ob das nun ein Pilgerweg für Rollstuhlfahrende oder jeder andere Weg im Leben ist, meinem Glauben nach habe ich nur dieses eine Leben und dieses Leben will gelebt werden!
BUEN CAMINO!